Umstritten ist ein neues Testverfahren mittels Blut der Schwangeren herauszufinden, ob sich im Erbgut des Fötus das DownSyndrom (Trisomie 21) findet.
Bislang wurde diese Prüfung mit Fruchtwasser-Analyse invasiv vorgenommen. Die Risiken waren signifikant genug, um vielfach darauf zu verzichten, während der Bluttest nahezu risikolos ist und nach dem Stand der heutigen Entwicklung aus einer dazu ausreichenden Blutmenge auch im Blut der Mutter der komplette Gen-Code des Fötus auffinden lässt. Diese Möglichkeit resultiert daraus, dass die Schwangerschaft (vereinfacht gesagt) ein "gegenseitiges Blutgeschäft" ist.
Aus experimentellen Gründen mal vorab, wie ich es ohne intensive Neuprüfung entscheiden würde, denn der Abgleich von Vorurteilen und Durchdachtem ist stets eine wichtige Erfahrung, auch wenn beides irren kann:
1. Ich bin für diese Testmethode aus dem pragmatischen Grund, dass bereits Erlaubtes nun weniger risikobehaftet ist.
2. Ich bin für diese Testmethode aus meiner älteren und niemals vollends befriedigenden Ethik-Entscheidung, dass ich das Recht des ungeborenen Lebens nicht nur dem Lebensrecht der Mutter, sondern auch ihren weiteren Entscheidungen unterordne, mit Ausnahme vermeidbar ungesunder Lebensweise.
3. Ich bin mir der Risiken bewusst, dass die Testerei alsbald über das DownSyndrom hinausgehen kann, halte das aber für ein - räumlich betrachtet - juristisch beherrschbares Risiko, das mit jedem weiteren Diagnostikwunsch erneut ethisch zu überprüfen ist.
Gegen das Verfahren werden ethische Bedenken vorgebracht,
- dass es Mord behinderter Menschen sei,
- dass es eine Diskriminierung behinderter Menschen ermögliche und bereits sei,
- dass es einer Diskriminierung behinderter Menschen Vorschub leiste,
- dass es "Child-Design" ermögliche und dann auch sei, zumindest ein erster Schritt.
Gegen das Verfahren werden religiöse Bedenken vorgebracht,
die das Spektrum der ethischen Bedenken umfassen und mit einem Glaubensverständnis verbinden, wonach sich der Mensch nicht in gottgewollte Schicksalsentscheidungen einzumischen habe.
Fangen wir mit der religiösen Spezifik an:
Die Glaubensfreiheit ist primär ein Schutzanspruch des Einzelnen und der Glaubensgemeinschaften gegenüber dem staatlichen Handeln und zunehmend auch gegen Diskriminierung durch Dritte.
Glaubensfreiheit ist indes nicht, dass religiöse Überzeugungen Gesetzeskraft erlangen, so dass sie sich nur mit ausschließlich ethischen Argumenten in den Diskurs einbringen können, während es auch ihren Anhängerschaften belassen bleibt, individuell zu entscheiden, ob sie sich der Möglichkeiten des geltenden Rechts bedienen oder aus religiöser Motivation darauf verzichten, bspw. keine solchen Tests durchzuführen.
Die ethischen Aspekte:
Grundsätzlich ist mir "Child-Design" zuwider, zumal finales Ergebnis wäre, wenngleich ich das nicht einmal der Klon-Technik zutraue, dass es dann modischem Zeitgeist unterworfen wäre - und ganze Jahrgänge sähen wie Claudia Schiffer oder Kevin Costner aus. Eltern würden ihren Kindern nicht einfach nur vererben, was sie genetisch, anschließend sozial und erzieherisch zu bieten haben, sondern schlussendlich auch das Aussehen und eventuell auch die Intelligenz.
Oder längst simpel per Gentest und Ultraschall, ob es ein Junge oder ein Mädchen werden soll. Auch schade, wenn es da elterliche Präferenzen gibt.
Gegen solch Grundsätzliches aus Sympathie für "Naturbelassenheit" spricht dann allerdings, dass es sehr wohl allseitigste Vorstellungen davon gibt, was für einen Menschen wünschenswert oder zumindest NICHT wünschenswert ist. Zu solchen "nicht wünschenswerten Eigenschaften" zählen eben auch viele Erbkrankheiten und ganz sicher auch Missbildungen.
Solche Thesen besagen indes rein gar nichts zum "Wert des Lebens" an sich, denn auch "Allseitigstes" kann irren und jeder mag dazu eigene Vermutung haben, aber maßgeblich darf nur die Perspektive des Betroffenen sein. Anderenfalls würde sich Unrecht wiederholen, wie zu NS-Zeiten massenhaft geschehen.
"Maßgeblich ist die Perspektive des Betroffenen" bedeutet objektiv: Menschenrecht. = Mir dann allerdings erst ab Geburt.
Und bedeutet subjektiv: Viele leben auch mit Behinderungen und Erbkrankheiten GERN und gut, entwickeln eigene Qualitäten, werden zwar nicht sämtlich Model oder Sportler des Jahres, auch nicht Prof.Dr.Dr., sondern nutzen die unendlich vielen Nischen bzw. größte Brachen, auf denen sich eigenes Glück und das Glück anderer anpflanzen lässt - oder sich die Güte anderer bewahrheiten könnte.
Gleichwohl ist solch Betrachtungsweise zu romantisch, wenn ignoriert würde, dass erbliche Leiden möglicherweise gänzlich das Leben vergellen und bis hin zum Vorwurf gegen die Eltern, z.B. keinen Gentest durchgeführt zu haben, um kein Elend zu vererben. Dass solche "Erbausschlagung" die Nichtexistenz bedeutet, machen sich unglückliche Kinder mitunter sogar klar und "wollen gar nicht geboren sein".
Sollte die Gentechnik fortschreiten - und das wird sie, dann werden sich Kinder noch mehr über das Sortiment ihres "Zubehörs" beschweren: "Ihr habt an mir gespart!" - Künftige Eltern werden es schwerer haben, wenn sie etwas können und dürfen, es aber nicht tun oder sich nicht leisten können. Insbesondere dumme Eltern sind arm dran, wenn sie ihrem Kind nicht zu verstehen geben, dass seine wenngleich auch länger durchlitten-durchdachte "Beschwerde" in dem Maße nebensächlicher wird und sich gänzlich erübrige, wie das Leben "trotzdem" gelingt und Freude machen kann.
Erfahrungen mit Menschen und Trisomie21:
1) Als Jugendlicher spielte ich oft mit "Downies". Beim Fußball wurden sie dann eben als "Hindernisse" in Position gebracht. Sie verblüfften nicht selten durch überraschende Mitwirkung. Es machte uns gemeinsamen Spaß. Einige waren uns sehr lieb, andere weniger. Wie auch umgekehrt. - Alles "eigentlich ganz normal", doch deutlich überdurchschnittlich herzlich.
2) Vor dem Studium fuhr ich für die "Johanniter Unfallhilfe" Behinderte zwischen ihren Elternhäusern/Heimen und speziellen Behinderten-Werkstätten hin und her. Es war mit ihnen mitunter anstrengend, aber stets viel netter, amüsanter und liebenswerter als wenn ich nörgelnde Leute, besoffene Verletzte zu transportieren hatte. Die "Downies" waren "meine Freunde" und zwar mit Seelenverwandtschaft für Wesentliches im Leben, für Neugierde, für positive Überraschung und Freude.
Einmal wanderte ich mit einer Gruppe "Downies" durch die "Einkaufsmeile" von Lüdenscheid (Wilhelm-Straße) - und da es mitunter sehr "kräfte Burschen" waren, stellte ich sie dann gleich auch mal den örtlichen Rockern vor (einige davon meine inzwischen gefeuerten Handball-Kollegen), für die es Wesen wie von einem anderen Stern waren, "aber respekteinflößend".
Mir dann eben verdächtig auch an den Reaktionen der übrigen Bevölkerung, wie entfremdet und isoliert in unserer Gesellschaft Behinderte waren - und möglicherweise trotz aller Aufklärung und Fortschritte auch heute immer noch sind.
3) Auch in der Verwandtschaft hatte ich eine liebe Cousine mit Down-Syndrom, die glücklich über 40 Jahre alt wurde, ehe sie zum Leidwesen aller Angehörigen verstarb.
Das soll sagen: Ich glaubte damals und glaube es auch immer noch, obwohl so lange her, dass sich die Gesellschaft durch die Isolierung von Menschen mit Trisomie21 zutiefst Menschliches entgehen lässt, dass ihr der Gesellschaft etwas fehlt, indem isoliert oder nun auch bereits seit vielen Jahren, demnächst dann risikoärmer, "selektiert" werden darf.
Dennoch bleibt es mir beim obigen Urteil, denn das Allgemeinere schließt Besonderes ein, wonach es pränatal (meinethalben mit Fristenlösung) auf die Entscheidung allein der Mutter ankommen soll und das "Recht auf Leben" inklusiver aller Implikationen erst mit der Geburt beginnt, jedenfalls juristisch.
Ethisch räume ich ein, dass es ein schwerlastender Kompromiss ist, denn zweifelsfrei weist auch der pränatale Entwicklungsprozess Sinneswelten auf, die mit jeder Zunahme moralisch stärker verpflichten, dass Lebensrechte zuerkannt werden.
Bei solchen Texten besteht stets das Risiko, dass man sie irgendwann bereut. Aus dem "Prinzip Verantwortung" wäre dann eigentlich ein Moratorium geboten, aber mir überwiegt pränatal das Elternrecht - insbesondere im Hinblick auf die Angst vor Missbildungen und Behinderungen - zu deutlich, denn besonders das behinderte Kind soll sich gewiss sein, dass es "Wunschkind" war, obgleich es dann noch mehr Vorwürfe machen kann, aber die Liebe als Motiv der Entschlusskraft wohl dann auch zu billigen hätte. Alles nicht leicht, ...
Und klar ist auch bzw. wäre sicherlich durch Erhebungen zu bestätigen, dass es viele Möchtegern-Eltern gibt, die aus Angst vor Erbkrankheiten einen Verzicht üben, eine Angst, die aus Gründen heutiger Diagnostik überhaupt nicht mehr zu begründen ist.
Markus Rabanus >>
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